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„Danke, danke vielmals! Ich sage aber nicht auf Wiedersehen.“

Lieber Reto, lass uns damit beginnen: Wie kommst du überhaupt ins Fernsehen?

Ganz unspektakulär. Ich wurde intern bei uns angefragt und ich habe zugesagt.

Das klingt auf jeden Fall unspektakulärer als dein Auftritt und wie dieser gefeiert wurde. Ein Zuschauer schreibt: „Der Kammerjäger ist super gewesen. Eine gute Mischung aus Unsicherheit und trockenem Humor. On Point. Bist du öfter im Fernsehen?

(Reto lacht) Ich war schon einmal als Zuschauer im Sportpanorama.

Da hast du bestenfalls Klatschen gelernt.

(Reto lacht genüsslich) Ich bin seit Jahrzehnten Laienschauspieler und Samichlaus. Die Situation war nicht ganz neu für mich.

Das erklärt Einiges. Ich wusste bis anhin nur, dass du im Winter Samichlaus spielst. Und das auch nur, weil alle bei Anticimex wissen, dass du dir hierfür jedes Jahr den Bart wachsen lässt.

Ich bin seinerzeit wegen des Theaters Samichlaus geworden. Ich war damals 22 Jahre alt. Mein Nachbar hat für einen Hundeclub im Glarnerland verzweifelt nach einem Samichlaus gesucht, weil der geplante Auftritt kurzfristig abgesagt wurde. Er wusste, dass ich Laienschauspieler bin, und hat mich gebeten, spontan einzuspringen. Ich habe dann etwas Kleines vorbereitet und es war ein Riesenerfolg. Sie haben mich noch am selben Abend für das darauffolgende Jahr gebucht. Heute kann ich mich kaum noch vor Anfragen retten. Ich bin aber weiterhin leidenschaftlich gerne der Samichlaus. Wenn man vielen Menschen eine Freude machen kann, dann weiss man, dass man nicht alles falsch gemacht hat.

Und wie hast du den Weg zum Theater gefunden?

Auch über Umwege. In jungen Jahren war ich angefressener Fasnächtler. Irgendwann hat der Präsident der Volksbühne Pfäffikon in einer Runde kommentiert, dass, wenn der Reto dabei ist, es immer lustig ist: „Du wärst einer für das Theater.“ Seither sind schon 36 Jahre vergangen und ich spiele immer noch und führe auch Regie.

Oh, wow. Trittst du aktuell auf?

Ja, ich spiele den Erbschleicher bei „Wer glaubt scho a Geister?“ von Uschi Schilling.

Worum geht es im Theaterstück?

Ein junger Mann verstirbt und die Witwe erfährt, dass er immer wieder von fremden Tellern genascht hat. Er war ein Jäger und Sammler von Schürzen. Im Himmel erhält er die Chance, sein altes Leben in Ordnung zu bringen, und kommt als Geist zurück, um dem Erbschleicher das Handwerk zu legen.

Ein Happy End. Das Schweizer Fernsehen hätte dich also gleich auch als Schauspieler oder Samichlaus buchen können. Wo genau trittst du auf und wie kann man dich als Samichlaus buchen?

Es wäre tatsächlich witzig, für das Schweizer Fernsehen den Samichlaus spielen zu dürfen (lacht genüsslich). Unsere Auftritte sind jetzt und bis Ende November in Pfäffikon in der Marchbühne zu sehen. Wer mich als Samichlaus buchen will, der kann dies über die Website der Chlausgesellschaft machen.

Dann ergreift hoffentlich das SRF die Chance beim Schopf. Was macht aber ein Kammerjäger, wenn er nicht gerade Satire im Fernsehen macht?

Er ist, eben, Kammerjäger. Ich bekämpfe Schädlinge und sorge dafür, dass sie auch in Zukunft nicht mehr zum Problem werden.

Wie kam es überhaupt dazu, dass du als Kammerjäger für Anticimex arbeitest?

In der Not frisst der Teufel Fliegen. Ich bin gelernter Automechaniker und habe zuletzt im Verkauf gearbeitet. Dann hat die Firma allen Mitarbeitern zwischen 55 und 60 gekündigt. Ich wurde über gemeinsame Bekannte von Frank Baumann, unserem Branch Manager für die Deutschschweiz, auf den Job aufmerksam. Ich habe mich gleich beworben.

Was wusstest du zu diesem Zeitpunkt über die Arbeit eines Kammerjägers?

Nichts. Ich gehe mit offenen Armen und Gefühlen auf neue Aufgaben und Chancen zu.

Wann hast du denn wirklich realisiert, was die Aufgabe des Schädlingsbekämpfers ist? War dir vielleicht schon davor klar, wie allgegenwärtig Schädlingsbekämpfung betrieben wird?

Meinen Aha-Moment hatte ich mit Kammerjäger-Kollege Patrick Häfeli, als ich ihn am Probearbeitstag bei Anticimex begleiten durfte. Plötzlich hatte ich es mit Mäusen zu tun, mit Schaben. Alleine schon an diesem ersten Tag habe ich viel über Schädlinge und den Umgang damit gelernt, was mir zuvor unbekannt war.

Dann bist du sozusagen in die Rolle reingewachsen?

Ich musste schon auch die Ausbildung als Schädlingsbekämpfer absolvieren. Ich war zwar einer der Ältesten, dennoch habe ich die Prüfung mit Bravour bestanden. So wird man professioneller Kammerjäger und darf auch Wirkstoffe verwenden, die sonst im Handel nicht zugänglich sind.

Was macht denn jetzt konkret ein Kammerjäger?

Die wichtigste Aufgabe eines Kammerjägers besteht darin, herauszufinden, wo ein Risiko besteht, dass Schädlinge eindringen können, respektive, wie es der Schädling geschafft hat, sich einzunisten, und dies zukünftig zu verhindern.

Es geht also um Gebäudeabdichtung? Verstehe ich das richtig?

Ja, absolut. Gebäudeabdichtung und Prävention. Eine dichte Gebäudehülle ist der beste Schutz gegen Schädlinge. In Ergänzung dazu braucht es ein Monitoringsystem, um einen Schädlingsbefall frühzeitig zu erkennen. Ratten, beispielsweise, können gut klettern, sogar tauchen oder sich durch Kunststoffrohre fressen. Einmal hatte ich einen Fall in einer 4-Zimmer-Wohnung im 3. Stock. Der Nager hat überall in der Wohnung Spuren hinterlassen, aber es war kein offensichtlicher Eintrittspunkt in die Wohnung auszumachen. Schliesslich habe ich herausgefunden, dass die Ratte jeweils aus dem WC gekrochen kam. Wenn der WC-Deckel oben war, konnte die Ratte aus dem WC springen. Bei geschlossenem WC-Deckel konnte sich jedoch die Ratte nicht an der Keramik festhalten. Darauf muss man erst kommen.

Hui, da kriegen ja die Leute Albträume, wenn sie das lesen.

Nein, nein, sollten sie nicht. Das gehört zur Aufklärung, die zum Beruf des Kammerjägers gehört. Es ist unsere Aufgabe als Kammerjäger, Schädlingsbefall präventiv zu verhindern und unsere Kunden entsprechend zu beraten, worauf sie achten müssen. Das kann auch sehr banal sein. Beispielsweise sollten Vorratsbehälter, wie Haferflocken oder Mehl, dicht verschlossen sein, andernfalls können sich Vorratsmotten ausbreiten. Eine einfache Aufmerksamkeit ist oftmals bereits die beste Prävention. Lecks in der Gebäudehülle sind typische Einfallstore für Schädlinge. Oftmals ist der Grund für das Eindringen einfach eine offengelassene Türe, durch die sich die Schädlinge unbemerkt herein mogeln.

Diese Investigativarbeit ist bei jedem Schädling wichtig, oder gibt es da Ausnahmen?

Ja, diese Abklärung ist bei jedem Schädling unabdingbar. Ein Schädling muss irgendwo herkommen. Und diese Herkunft muss sauber geklärt werden, will man den Schädlingsbefall beheben und in Zukunft verhindern.

Was gefällt dir am Job als Kammerjäger? Wieso sollte jemand Kammerjäger werden?

In der Schädlingsbekämpfung ist kein Tag wie der andere. Das macht den Job als Kammerjäger für mich interessant. Im Nachhinein wäre ich froh gewesen, wenn ich schon viel früher den Weg zum Beruf des Schädlingsbekämpfers gefunden hätte.

Als Kammerjäger arbeite ich täglich selbstständig und löse vor zu einzigartige Probleme, deren Lösung ich immer neu erarbeiten muss. Jeder Vorfall ist im höchsten Masse eine Herausforderung und eine Geschichte für sich. Das Wichtigste aber, ist mir die Zufriedenheit meiner Kunden und deren grosse Erleichterung, sobald ich das Schädlingsproblem für sie beheben konnte.

Das sagen doch alle, dass die Kundenzufriedenheit das Wichtigste ist. Dem Ehrenwort des Samichlaus’ glaube ich aber.

Das ist wirklich so. Die meisten Kunden sind sehr dankbar, dass ich ihnen helfen konnte. Es kommt schon vor, dass ein Kunde zuerst nicht zufrieden ist. Schwierige Kunden sind jedoch in der Regel bloss schlecht informiert. Aufklärung hilft in den allermeisten Fällen, unsere Arbeit als Kammerjäger nicht zu unterschätzen und zu honorieren. Diese zwischenmenschliche Komponente ist für mich ein sehr wichtiger Grund, weshalb ich gerne an der Front und Kammerjäger bin.

Was sind denn die grössten Irrglauben bezüglich Kammerjäger und Schädlingsbekämpfung?

Wenn ich mit dem Auto bei Kunden vorfahre, haben sie oft Angst, dass sie wegen Hygienemängeln in Verruf geraten. Sie fürchten sich um ihre Reputation. Unsere Fahrzeugflotte ist auch schön gross beschriftet, so, dass schnell jedem klar wird, dass wir Schädlingsbekämpfer sind. Diesem Präjudiz begegne ich oft. Natürlich fördert mangelnde Hygiene einen Schädlingsbefall - sie ist aber keine Bedingung dafür. Schädlingsbefall ist oftmals einfach ein unglücklicher Zufall.

Es gelingt dir also, durch Aufklärung, Verständnis für die Schwierigkeiten der Schädlingsbekämpfung herzustellen und auch Anerkennung für die Lösung zu ernten.

Auf jeden Fall. Trotzdem, das ist auch klar: Niemand hat uns gerne im Haus. Die Erleichterung ist riesig, wenn wir den Job erledigen und verschwinden. Meistens heisst es „Danke, danke vielmals für den tollen Job - ich sage aber nicht auf Wiedersehen.“ Das ist dann das Aha-Erlebnis des Kunden.

Wann muss denn jemand, der von Schädlingen geplagt wird, dich aufbieten?

Wenn der Kunde nicht mehr weiter weiss. In einem typischen Fall googelt heute der Kunde zuerst und kauft danach einen Wespen-Spray. Wenn sich aber die Wespen gut in der Fassade verstecken, hat der Kunde keine Chance, sie loszuwerden. Das gilt auch bei Ameisen. In solchen Fällen ist die Menge Wirkstoff ungenügend, die eine Königin erreicht. Das ist für die Bekämpfung entscheidend. Googeln hilft sicher, den Wissensstand zu erweitern. Wenn es darauf ankommt, haben wir Fachwissen und Mittel, die dem Kunden nicht zugänglich sind.

Wie lange dauert üblicherweise eine Bekämpfung?

Das ist von Fall zu Fall sehr verschieden. Bei Feldwespen kann die Entfernung des Nestes fünfzehn Minuten dauern. Wenn sich Wespen hinter der Fassade eingenistet haben, sind mehrere Behandlungen nötig. Einmal hatte jemand Wespen im Zimmer. Ich konnte aber nirgends ein Nest entdecken. Schliesslich habe ich sie im Unterdach gefunden. Sobald das Licht eingeschaltet wurde, wurden die Wespen aktiv und haben die Jagd aufgenommen. Die Larven von Wespen haben immer Hunger.

Gibt es viele Erfahrungen, die du als Kammerjäger gemacht hast, an die du dich noch lebhaft erinnerst?

Oh, ja. Besonders eine Bettwanzenbekämpfung in einer grossen 4½ -Zimmer-Wohnung in Jona ist mir in Erinnerung geblieben. Nach der Inspektion konnte ich in jedem Zimmer Bettwanzen ausfindig machen. Das war der Horror, der Ausnahmezustand. Selbst unter dem Parkett konnte ich Bettwanzen finden, weshalb wir auch dieses herausreissen mussten.

Das ist sehr zeitintensiv, nehme ich an.

Die Familie musste Vieles mitmachen, um die Tierchen loszuwerden. Das war nicht nur aufwendig, sondern auch teuer und belastend. Der materielle Schaden war riesig, wie auch der psychische Druck der Betroffenen. Die Kooperation mit dem Kunden hat entsprechend gut geklappt; anders hätte das auch nicht funktioniert.

Das hört sich wie ein Horrorszenario an.

War es auch. Die Erleichterung der Familie war gross, als wir endlich die Bettwanzen losgeworden sind. Das erzielte Resultat wird so zugleich zur bedeutenden Auszeichnung der eigenen Arbeit.

Reto, lieben Dank für die tiefen Einblicke in das vielschichtige Leben eines Kammerjägers. Zum Abschluss kannst du mir noch eine dringende Neugierde befriedigen: Gibt es eine Rangliste der beliebtesten Schoggi-Marken für Nager, die im geschlossenen Kreis der Kammerjäger-Profis herumgereicht wird?

(Reto lacht) Nein, nein. Im Beispiel im Fernsehen waren es Toffifee. Als Kammerjäger arbeiten wir tatsächlich mit den angeknabberten Produkten als Köder. Die Vorlieben der Tierchen sind vielseitig.

Ich verstehe. Dann lass uns eine Runde spielen: Ich nenne dir einen Schädling und du nennst mir sein Leibgericht.

Ok. Schiess los.

Starten wir mit „Wespen“:

Andere Insekten und Nektar in der Natur, oder zuckerhaltige und proteinhaltige Nahrung wie Kuchen und Grillfleisch nahe beim Menschen.

„Mäuse & Ratten“.

Mäuse sind Vegis. Ratten hingegen sind Allesfresser. In der Nähe des Menschen interessieren sie sich besonders für herumliegende Abfälle.

„Ameisen“.

Das ist komplex. Die wichtigste Information für uns Menschen: Ameisen interessieren sich nicht nur für zucker- und proteinhaltige Nahrungsquellen, sondern erstellen auch gleich eine ganze Logistik, auch Ameisenstrasse genannt. Eine Ameise kommt selten alleine.

„Der Teufel“.

Das ist einfach. Menschenseelen und im Notfall Fliegen.